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  PETER KILLER, KUNSTKRITIKER Wo die Welt bebt, wo die Welt steht   “Der Spass ist der Ernst des Lebens”, pflegte Jean Tinguely zu sagen. Dieser Ausspruch könnte auch von Werner Stirnimann stammen. Mit ihm war gut lachen.   Er hatte einen ganz spezifischen Humor, der oft das Zynische streifte. Sein Humor entsprang einem lebendigen, ja spritzigen Geist, aber er war ihm auch Schutzmantel, mit dem er seine eigene Verletzlichkeit abzuschirmen versuchte. Ich erinnere mich an die erste Begegnung, die solange gespannt verlief, bis Werni davon Überzeugt war, dass ich ihn als Künstler und Mensch ernst nehme.   Werner Stirnimann war kein unsicherer, seiner nicht sicherer Mensch. Doch gehörte das Faktum, dass im Leben ausser dem Tod nichts gewiss ist, zu seinen Grunderfahrungen, die sein Leben und seine künstlerische Arbeit geprägt haben. Sein Werk handelt von Unsicherheiten und Sicherheiten. Er hatte nicht das platonische Vertrauen, das zwar die Vergänglichkeit der Welt des Kreatürlichen und der Dinge konstatiert, aber das die Ideen als unvergängliche Urbilder versteht. Das Heraklit-Wort “Alles fliesst, nichts besteht”, war Stirnimanns Mentalität näher. In den achtziger Jahren geraten seine Werke in die Nähe der Gedankengebilde eines Albert Camus, der den Menschen von einer absurden Welt umgeben sah, ihm fremd, unverständlich, unerkennbar.   Die rätselhafte, nicht mit Sicherheit durchschaubare, fixierbare Realität war bereits das Thema der frühen Werke.   Im Juni 1964 entstehen besonders viele Zeichnungen (oder es blieben besonders viele erhalten). Am 10. Juni bringt er die Tusch-Zeichnung “OdysseÏsch” zu Papier. Es geht dabei in keiner Weise um die Person des Königs von Ithaka, sondern um dessen Heimfahrt, die nicht den geplanten Verlauf nimmt, zur Irrfahrt wird, zum zehn- jährigen Abenteuer. Stirnimanns Blatt “OdysseÏsch” handelt von einer durchkreuzten Absicht, von einem Weg, der ins Chaos führt, einer eigenen, undurchschaubaren Ordnung gehorcht. Werner Stirnimann hat erkannt, was auch ein Lovis Corinth oder Pablo Picasso konstatierten: die Odyssee ist eine Parabel von einer Irrfahrt, die im 20. Jahrhundert immer noch höchste Aktualität hat.   Am 20. und 21. Juni 1964 zeichnet er die ornamental gemusterten Städtebilder “Laterne, Stadt, Totem und Mond”, bzw. “Siamesisches”. Es sind phantastische Landschaften, die einen an Träume erinnern, in denen man in einer labyrinthischen Strassen- und Gassenlandschaft seinen Weg sucht, sich verläuft, in Sackgassen gerät, den Krebsgang antreten muss, zwischen Mauern gefangen der Verzweiflung nahe kommt. Also auch hier: Sicherheit gibt es nicht, ja die Realität verschwört sich gegen einen. Am 22. Juni entsteht das Blatt “Skulptur meiner Bildung”: ein sternförmiges, igelartiges Konstrukt, das solide abgestützt ist, aber nach oben und seitlich im Expandieren begriffen ist. Im Innern der “Skulptur” herrscht eine ähnlich chaotische Ordnung wie auf den an den Vortagen entstandenen Zeichnungen. Fundiertes ist zu sehen, aber auch sich in einen offenen Raum diffus Ausdehnendes.   Die im selben Zeitraum geschaffenen Malereien zeigen häufig Querschnitte, vergleichbar mit für den Laien nicht entzifferbaren geometrischen Zeichnungen von Maschinenbauern oder mit biologischen Präparaten, die unters Mikroskop gelegt werden. Doch immer handelt es sich um Fiktionen. Werner Stirnimann parodiert die Bemühungen um den technischen Fortschritt und wissenschaftliche Erkenntnis beziehungsweise den blinden Glauben, den in diese gesetzt wird. Er ist zu sehr Zyniker, als dass er das Neue ungeprüft als Fortschritt bezeichnen könnte. (Im Spätwerk stellt er an die Kunst entsprechend kritische Fragen und findet die Antwort in Werken, die der Uninformierte als traditionalistisch oder sogar als konservativ bezeichnen könnte. Polaritäten wie Avantgarde und Arrièregarde werden da bedeutungslos). Die Formen werden in den sechziger Jahren fliessender, amorpher, sie gleichen sich immer mehr medizinischen Zell- Photographien an. Bewusst oder unbewusst fragen diese Arbeiten, nach dem, was in Organismen Geheimnisvolles vorgeht. Diese Werke scheinen Fragen vorauszuahnen, die zwei Jahrzehnte später existentielle Bedeutung bekommen. Die Pop Art und die 68er-Revolten sind das Umfeld, das Werner Stirnimann veranlasst, seine Kunst radikal zu Überdenken und ihn auf ganz neue Formulierungen bringt. Die “Ersatzlandschaften” und “Technolandschaften” zeigen Szenerien, die von Menschen, aber nicht für Menschen geschaffen sind. Bezeichnenderweise sind sie stets öd und leer. Die Bildsprache verändert sich, die zentralen Inhalte Sicherheit - Unsicherheit bleiben. Die Reissbrett-Welt (damals wurde in den Architekturbüros noch von Hand gezeichnet, der Plotter konnte noch nicht jede Aufgabe abnehmen) berichtet von einer Scheinsicherheit, die sich stabil gebärdet ohne stabil zu sein.   “Building V” (1973) zeigt eine menschenleere, seelenlose Stadtlandschaft, fensterlose Blockbauten von erschreckender Monumentalität. Handelt es sich um das Abbild eines Modells oder um eine stilisierte Ansicht? Das eine wie das andere scheint möglich. Im Zentrum des Vordergrunds ist eine Überbaute Strasse dargestellt, die aber unpassierbar ist. Werner Stirnimann schiebt in die Öffnung des Tunnels einen Kubus oder ein riesiges Paket, das auf der Vorderseite eine Baumlandschaft zeigt. Es ist so sorgsam plaziert wie die Dynamitladungen, die wir Schweizer Soldaten bei den Manövern probeweise in den Sprengkammern der Brücken legen mussten. Ging es dort um den bösen Russen, den man nicht über Rhein, Reuss und Aare kommen lassen wollte, ist Werner Stirnimanns Thema eher Franz Hohlers “Rückeroberung” verwandt: die Natur ist zwar im Augenblick noch verpackt, erniedrigt und entwürdigt, wird aber all das Menschenwerk, das sich da so selbstbewusst gebärdet, früher oder später wieder verdrängen. Dieses Bild lässt mir auch die alte Sage von den drei Tellen durch den Kopf gehen, von den drei Helden, die auffindbar seit Jahrhunderten in einer Innerschweizer Höhle schlafen. Erst in der Stunde grosser Not werden sie erwachen, als Retter ins Tal hinuntersteigen Unheil wandeln sie dann in Heil.   Werner Stirnimanns Bilder aus den siebziger Jahren sind bissige Kritik an einem falsch verstandenen Rationalitäts- Begriff. Die Rationalität ist eine der höchsten Gaben, die der Mensch bekommen hat, die aber nur wenig mit einem simplen orthogonalen Gestalten zu tun hat. Stirnimann karikiert die schnell und lieblos gebaute Kistenarchitektur schonungslos. Gewisse einfallsarme geometrische Künstler haben sich unterdessen selber marginalisiert und sind samt ihren Bildern aus dem Gesichtsfeld verschwunden. Die einfalls- aber nicht renditelose Architektur jener Zeit lässt sich leider nicht wegzaubern.   Die “Ersatzlandschaften und Technolandschaften” zeigen nicht wenige Entsprechungen zu Arbeiten von andern in- und ausländischen Künstlern. Ich denke etwa an das damals in der ganzen westlichen Welt fast epidemisch aufgetretene Motiv des rotweissen Geometerstabes oder des Fadenkreuzes. “Ersatzlandschaft III” (1981) erinnert an die vollklimatisierten Glaskuppeln, unter denen Buckminster-Fuller allen Ernstes ganze Städte ansiedeln wollte. Doch solche Parallelen werten die Absichten von Werner Stirnimann nicht ab: die Überlegungen über die Grenzen des Machbaren benötigten lesbare, allgemein vertraute Zeichen und Symbole, und diese lassen sich auch von phantasiebegabten Menschen nicht beliebig mehren. “Ich schreibe scheinbar verrückte, phantastische Dinge, und plötzlich kann ich jedes dieser Dinge auf etwas Erlebbares zurückführen”, hat Dürrenmatt konstatiert, und Werner Stirnimann würde ihm als Maler recht geben. In der Grossetto- Serie (1985) entwickelt Stirnimann seine kritischen Bildgedanken weiter. Was vorher erdachte Fiktion war, wird nun zur Realität. Toskanische Paradieslandschaft - wieder das Sicherheits- und Unsicherheits-Thema - wird zur manchmal fast altmeisterlich gemalten apokalyptischen Szenerie, in der Düsenjäger die Stille zerreissen. Der alte Menschheitstraum vom Fliegen ist nun zum Albtraum geworden.   Die letzten zehn Schaffensjahre Werner Stirnimanns sind geprägt von einschneidenden, erschütternden Zäsuren im familiären Umfeld. Ferdinand Hodler hat seinen Biographen gesagt, der Tod sei in seinem Leben der permanente Begleiter gewesen. Aus dieser Erfahrung des Endlichen, des Vergänglichen habe man seine Berg- und Seelandschaften zu verstehen, die das Nicht-Endliche, Unvergängliche verkörpern. Die Welt des Dauernden hat Hodler die Welt des Flüchtigen ertragen lassen. Auch wenn die Naturbilder von Hodler und Stirnimann keine äusserliche Ähnlichkeit aufweisen, so ist ihnen doch eine Gemeinsamkeit eigen: nämlich das Wissen, dass es grössere Ordnungen gibt als die von Menschen geschaffenen. Sowohl in Stirnimanns Berg- wie Baumlandschaften fügt sich nun eine mystische, spirituelle Dimension ein, unendlich weit entfernt von den zivilisationskritischen, manchmal zynischen Bildern im früheren Schaffen. Die harten Erfahrungen mit Tod und schwerer Krankheit haben den Künstler verwandelt und scheinen ihm schliesslich eine innere Gelassenheit gegeben zu haben, die ihn Über den Dingen stehen lässt. Was kÜmmerts ihn, ob diese Malereien zeitgemäss sind, ob sie auf die effektorientierte Kunstszene und in den innovationsgeilen Markt passen. Er hat jetzt jene Reife erlangt, die ihm erlaubt, voll und ganz seinen eigenen Weg zu gehen.   Bezeichnenderweise verschwindet im Spätwerk die Farbe Schwarz. Dominant werden Blau, Grau und Grün. Das tiefe Schwarz ist eine Erfindung des menschlichen Hirns. Die Augen finden es in der Natur fast nirgends, und wenn schon - etwa bei der Kohle - , dann in Verbindung mit der vom Menschen veränderten Natur. Schwarz ist eine graphische Farbe, die Farbe des Schreibens, des Zeichnens und Druckens. Viele alte und neue Maler meiden das Schwarz konsequent. Das ist nun auch bei Werner Stirnimann der Fall. Das Spätwerk steigert sich zur reinen Malerei, klar von der Zeichnung getrennt, ohne literarische Botschaften, ohne Symbolismen. Nun hat er eine Kunst des inneren Flusses im Einklang mit der Natur erreicht.   Typisch für diese Zeit der Reife ist auch der hohe Stellenwert der Wasserfarbmalerei. Aquarelle werden nur von KÜnstlern und Künstlerinnen geschaffen, die den repräsentativen Wert der Kunst in Frage stellen können, die sich nicht mehr darum kümmern, dass im Kunsthandel und der Wertschätzung der meisten Kunstfreunde ein Tafelbild als viel wertvoller gilt. Von allen Maltechniken ist die Aquarellmalerei die immateriellste. Mit ein paar Zehntelsgramm Farbmaterial und dem sich beim Trocknen verflüchtigenden Wasser entsteht das Bild, transparent und schwebend. Die Bilder von Werner Stirnimann verraten ein tiefes Verständnis für die Wasserfarben. Das ohnehin Immaterielle entmaterialisiert er noch zusätzlich, indem er das Weiss des nackten Blattes formal integriert und dabei Farbwirkungen erzielen kann, ohne Farbe einzusetzen. Der Schriftsteller und Philosoph Ludwig Hohl - ein Montaigne unseres Jahrhunderts - 1904 in Netstal geboren, 1980 in Genf gestorben - hat zwei grundsätzliche Bemerkungen gemacht, die im Speziellen auf Werner Stirnimanns ausge- wogenes Spätwerk zutreffen, die dem Zugefallenen, Eingegebenen, nicht im voraus Geplanten einen ganz neuen Stellenwert geben. Hohl schrieb: “Es gibt gar keine Vorbereitungen! nur die Arbeit, d.h. Ausführungen; Ausführungen freilich ganz verschiedener Art. – Die einen verbringen ihre Zeit in lauter Vorbereitungen, die andern wieder überhasten sich, indem sie Arbeitsstufen überspringen wollen.“ - Und an anderer Stelle: “Fast bei allen Beschäftigungen ist wichtig, dass man keinen Anlauf nehme. Dem Anlauf fallen so viele Arbeitsresultate zum Opfer.” - Werner Stirnimann, der lange Zeit seine Bilder behutsam vorbereitete, sich Schritt um Schritt der endgültigen Formulierung näherte, erreicht im Spätwerk eine Freiheit, die er bisher nicht gekannt hat. Ohne umzuschweifen - ganz im Sinn Ludwig Hohls - macht er sich an die Arbeit. Was nun entsteht und jäh abbricht zeigt uns Werner Stirnimann souveräner denn je. TINA GRÜTTER, KUNSTHISTORIKERIN   Gedanken zu Grundthemen im Werk von Werner Stirnimann   Ausbruch   Eines der ersten erhaltenen Gemälde von Werner Stirnimann scheint mir wie ein Entwurf zu seinem künstlerischen Lebenslauf: Eine dunkle amorphe, Geborgenheit vermittelnde Wand, etwa einen Viertel der oberen Bildfläche bestimmend, bricht auseinander; aus ihr wachsen reliefartig Zonen in den Vordergrund, wobei die eine als Landschaft, die andere als Stein- und Architekturgelände erkennbar ist. Eine gletscherartige Zone, die in einen Fluss ausläuft, trennt Wand und Vordergrund ab. Hinter ihr tut sich eine Hochgebirgslandschaft auf, gebildet durch eine Abfolge von schneebedeckten Gipfeln, die ein Gefühl der Weite und Sehnsucht vermitteln. Die Schwarzweiss-Struktur der Gipfel, welche Chrakteristisches von Fels- und Schneezonen des Gebirges wiedergibt, ist zugleich eine rhythmisch-abstrakte Gliederung. Die kantigen Formen des Gebirges, die dunklen Farben der auseinanderbrechenden Wand sind von expressiver Wirkung - so, dass sich mit dem Prozess des Ausbruchs und der Öffnung etwas Schmerzhaftes verbindet.   In seiner expressionistischen Sprache steht das Gemälde völlig vereinzelt da, seine Motivik fasst aber jene der künftigen Werkentwicklung zusammen.   Eine erste zusammenhängende Werkfolge bilden die Schwarzweiss-Zeichnungen von 1964/66. Linien- und Flächenelemente wachsen zu ornamentalen Gebilden zusammen, aus welchen man Andeutungen an Architektur, Landschaft und Gestirne liest. Sie tragen poetische Titel wie "Laterne, Stadt, Totem und Mond". Es sind Erzählungen von der Freiheit der reinen Formen, von einer Welt, die zerborsten ist und die sich neu formuliert, als Kunst, in ihrer eigenen Schönheit, mit ihren eigenen künstlerischen Gesetzen. Wassiliy Kandinsky steht als Lehrmeister hinter diesem Frühwerk, ein Künstler, den Werner Stirnimann zeit seines Lebens als Maler und Theoretiker verehrte; aus dessen Schriften unterstreicht er den Satz, dass die äussere Welt ihre Glaubwürdigkeit verloren habe. Aus den Einzelteilen eines geborstenen Ganzen eine eigene Welt bilden, in welcher Irreales und Reales sich verbinden, an dieses künstlerische und weltanschauliche Erbe knüpfen die frühen Schwarzweiss-Zeichnungen von Stirnimann an. "Skulptur meiner Bildung" heisst ein anderes Blatt. Die kaleidoskopartigen Zersplitterungen bewegen sich von einem Kern aus in dynamischer Drehung nach aussen, wo sie in aggressiven Spitzformen enden. Eine Sprache, in der nicht nur ein neues Verhältnis zur Welt, sondern auch eigene Regungen und Gefühle aufgehoben sind, innere und äussere Bilder übereinstimmen, ist gefunden.   In dieser Bildsprache, in welche auch Impulse aus der Kunst von Paul Klee, Willi Baumeister und Lyonel Feininger verarbeitet sind, entsteht 1965 das Ölgemälde "Ohne Titel", ein Prototyp für die Werkentwicklung bis Mitte der 80er Jahre. Ein röhrenartiges Gehäuse zieht sich, ohne Anfang und Ende, in vertikaler Richtung durch die Bildfläche. Durch fensterartige Öffnungen ist ein Inneres angedeutet, in welchem Zeichen einer ornamental-poetischen Welt aufbewahrt sind. Durch eine explosiv-dynamische Bewegung wird das Gehäuse gesprengt; Teile eines Turbinenwerkes dringen spiralförmig heraus. Deren Struktur wird von "Innereien" aufgenommen, die ebenfalls aus dem Gehäuse dringen und Teile eines Skelettes aber auch eines technischen Apparates sein könnten. Diese Struktur klingt in den Streifen nahe den Öffnungen wieder auf. Ist darin eine Vision des Künstlers zusammengefasst, dass - reduziert auf abstrakte Zeichen -, die Strukturen einer technisiert-organischen und einer kosmisch-poetischen Welt einander verwandt sein könnten? Das Weiss der Röhre macht die Fragilität und Verletzbarkeit des Gehäuses bewusst, in welchem das komplizierte Beziehungssystem aufgehoben ist.   Sprung in die Mitte der 70er Jahre. Sie bedeuten einen Höhepunkt in Werner Stirnimanns Schaffen. Konstruktives und Phantastisches gelangen zu einer Synthese. Man spürt die Faszination des Künstlers vor dem unerschöpflichen Formenarsenal der technologischen Welt, zu der auch der Computer gehört. Das verlockt zu spielerischen Experimenten, zur totalen Machbarkeit, zu deren Resultaten aber durch die kühlen Farbtöne, zart aufgetragen mit Farbstiften, Distanz angekündet ist. Zunehmend beginnt Organisches sich einzuschleichen: eine konfliktvolle Symbiose bildet sich heraus. Von diesem ambivalenten Verhältnis zwischen Natur und Technik zeugt ein Interview, in welchem Werner Stirnimann, Remo Roth und Wolfgang Häckel ihre Haltung zur technisierten Umwelt ausdrückten: "Wenn ich eine Computerlandschaft darstelle, ist dies ein Symbol für unsere Umwelt allgemein; man könnte dafür auch andere Formen finden. Mich faszinieren einerseits die Elemente dieser raffinierten, komplizierten Technik als Gestaltungsmittel, andererseits leide ich - wie jedermann - darunter, dass mir diese Welt unzugänglich ist, ein System geworden ist, das ich nicht durchschauen kann und keinen Einfluss darauf habe." Und auf die Frage, warum er dieses mit so viel ästhetischer Anziehungskraft ausstattet: "Das ist ja das gefährliche daran: Wäre diese Computerwelt hässlich, stinkend, würde man sich vielleicht eher gegen sie stellen. In dieser Maschinerie wird aber mit zunehmender Abstraktion auch die Ästhetik vorangetrieben, so dass der Mensch ihre Gefährlichkeit gar nicht unmittelbar wahrnimmt. Es ist wie eine schleichende Krankheit, von der man eingefangen wird." (aus: Schweizer Kunst Nr. 3/4 1976). Verzauberung   Im Spannungsfeld zwischen cooler Ästhetik und ironischer Distanz entsteht eine verzauberte Welt, in welcher Technisches und Organisches, Konstruiertes und Phantastisches sich in kühnen Metamorphosen finden. Da wird gepresst, gestochen, umarmt, gedreht und getanzt, Aggressivität und Lust, Leiden und Erotik spielen sich in einem imaginären Raum ab, der an die bizarren Kompositionen des flämischen Malers Hieronymus Bosch (um 1453-1516) erinnern, an Szenen aus dem "Garten der Lüste", aber auch aus dem "Jüngsten Gericht".   Stirnimanns Bewusstsein der "schleichenden Krankheit", die darin besteht, dass die Technik und insbesondere die Elektronik, das Organische bedroht und überwältigt, drückt sich in einer zunehmenden Abkapselung des Organischen aus. Die Architektur bietet den konstruktiven Schutzmantel, um das Fragile abzuschirmen, einzuschliessen. Unter solchen Schutzmänteln entstehen Konstellationen wie diejenige zwischen Pyramide, Zylinder und Quader, die durch Stirnimanns Metamorphosen zu einer märchenhaften Begegnung zwischen einer Fee und einem Gnomen werden.   Kulturpolitik   Ich habe Werner Stirnimann zwischen 1973 und 1979, als er Vorstandsmitglied und Vizepräsident der GSMBA (Gesellschaft Schweizerischer Maler Bildhauer und Architekten) Zürich (jetzt visarte zürich) war, als einen Kämpfer für die Anliegen der Künstler kennen gelernt in einer Zeit, da unter dem Zentralpräsidium von Wilfrid Moser die Künstlervereinigung als Berufsverband für die kulturpolitischen Interessen der Künstlerschaft einstand und erwirkte, dass sie - wie andere Interessensverbände auch - vom Bundesrat empfangen wurde. Die Künstlerinnen wurden endlich als Mitglieder der GSMBA aufgenommen; die Befreiung der Mehrwertsteuer wurde erwirkt, für kunstfreundliche Politiker wurde im Wahlkampf geworben. Es war - im Gefolge der 68er Bewegung - eine Zeit der Aufbruchs, der Utopien und Hoffnungen nicht nur auf eine gerechtere Welt, sondern auch auf eine bessere Stellung des Künstlers in der Gesellschaft. Die Uneinigkeit unter den KÜnstlern, das Desinteresse der Politiker hat den hoffnungsvollen Ansätzen bald harte Dämpfer versetzt. Darunter hat Werner Stirnimann gelitten; er hat sein kulturpolitisches Engagement allmählich aufgegeben und sich, wie andere Künstler auch, in eine eigene Welt zurückgezogen.   Erstarrung   Dem Kreativen wenigstens auf der Bildfläche einen Schutzraum geben! Diesem existenziellen Anliegen verleiht Werner Stirnimann nun in seinen Bildern Raum. In den Schutzraum eingeschlossen wird zunehmend die Natur, für deren Bedrohung der Künstler, lange bevor die Umweltdiskussion ein allgemeines Thema ist, eine starke Sensibilität entwickelt hat. Unter dem Titel "Ersatzlandschaften" entstehen zu Beginn der 80er Jahre Farbstiftzeichnungen, nun oft grossformatig, in welchen Fragmente von Landschaft: Berge, Wiesen- und Waldzonen in topografische Reliefs umgewandelt werden. Diese künstlichen Bauten - zu Monumenten der Natur verwandelt - werden zusätzlich abgeschirmt, indem sie auf einen Sockel, und auf diesem wiederum unter Glas gestellt werden - selbst die Natur, symbolisiert durch eingefrorene Waldfragmente, wird ein kristallines Luftschloss. Es hat etwas AnrÜhrendes und Erschreckendes zugleich, in welchem Ausmass der Künstler das Fragile und Gefährdete, Natur als Teil der Schöpfung und Kunst als Teil des Schöpferischen einschliesst, schützt und entrückt. Eine symmetrische Anordnung, oft durch Spiegelungen in den Glaskörpern gebildet, steigert die hermetische Abgeschlossenheit. Doch selbst in solch schmerzhaften Erstarrungen klingt die Verzauberung nach, ausgedrückt durch die zart aufgetragenen, subtil aufeinander abgestimmten Farben.   Mitte der 80er Jahre, angeregt durch die Erlebnisse einer Toskana-Reise, löst sich die Erstarrung der Formen. Die strenge Architektur erhält selbst etwas Organisches, die Symmetrie weicht freieren, offenen Anordnungen. Gleichzeitig spürt man das Bedürfnis des Künstlers, der Erstarrung Bewegung entgegenzusetzen. Räumlich ausgedrückte Bewegungsmomente wie Fliegen, Schweben, Abheben werden von Flugkörpern unterstützt.   Diese Werkphase erreicht ihren Höhepunkt im Architekturmonument des Tadsch-Mahal, einem grossformatigen Acrylbild, das unmittelbar nach dem Tod des Sohnes Oliver, 1987, entstanden ist. Im Zentrum des Monuments entdeckt man eine schmale Öffnung, ein auffällig helles Tor, in welchem eine keimende Pflanze, noch kaum von einem Ornament zu unterscheiden, Wachstum andeutet.   Erwartung   Welche inneren Erschütterungen mögen zwischen diesem Grabmal und den Wasserläufen von 1988, die den Auftakt zur letzten Schaffensphase des Künstlers bilden, stehen? Werner Stirnimann wendet sich nun fast ausschliesslich dem Aquarell zu. Die fliessenden Farbbänder, die für das Wasser stehen, werden so von Technik, Duktus und Motiv her inbegrifflich mit Bewegung und Veränderung verbunden. Zudem fällt auf, dass der Künstler die räumliche Distanz zwischen Dingen und Betrachterstandort aufhebt; man steht unmittelbar im Bildraum, in direkter Begegnung mit den Dingen. Steine und Wasser sind nun seine Hauptmotive. Die Steine nehmen die Erstarrung auf sich; sie gehört zu ihrer Natur. Sie sind Vermittler zwischen Natur- und Kunstform, Träger der Ambivalenz von Gewachsenem und Geformtem, von Organischem und Künstlichem. Der Oberfläche der Steine wird Leben eingehaucht durch die Natur der Malerei, farbigen Strukturen, in welchen man die Auseinandersetzung mit Cézannes Farbpalette und deren Modulierung erkennt. Farbgesetze und persönliche Handschrift gehen eine Symbiose ein. Die Gesteinsoberflächen beginnen zu wuchern, auszuufern, sich mit dem Fluss des Wassers, an welches sie oft gesetzt sind, zu verbinden. Man spürt die Lust des Malers am Schöpfen einer Farbsprache, die immer kühner wird, kristallenes Grün und pinkfarbenes Rot aufeinanderprallen lässt. Immer sind es kalte Farben, zunehmend geprägt durch eine Lichtheit, welche die Farbe als Materie auflöst, durchsichtig macht. In ihrer Anordnung erscheinen die Steine wie wartende Wesen. Alles scheint auf etwas gerichtet zu sein, in gespannter Erwartungshaltung. In den letzten Werken tut sich, zwischen den gereihten Baumstämmen einer Waldpartie, den Bäumen einer Allee, dem Astgeflecht als einem unausweichlichen Sog eine flutende Lichtzone auf. Eines der letzten Werke von Werner Stirniman ist eine Parklandschaft. In strenger Symmetrie sind die Gegenstände auf ein Zentrum hin geordnet. Sie sind künstlerische Grundform und Gehäuse der Natur in einem. In der leicht flackernden Oberflächenstruktur vereinigen sich Blattwerk und Pinselduktus. Rasenplatten führen zwingend zum Zentrum. In der vorderen Mitte "verharrt" ein Busch. Das kalte Blau, die zugespitzte Rundform lässt ihn wie eine eingefrorene Flamme erscheinen, erwartungsvoll auf die Öffnung bezogen. Aus dieser dringt das flutende Licht, das sich auf der Rasenplatte, unmittelbar vor dem Baumwesen, ausbreitet. Die Spitze des Busches und das schmale lichte Tor in der Öffnung sind unausweichlich aufeinander bezogen. Werner Stirnimann hat eine eigene Formulierung für "seine" Toteninsel geschaffen, wo die gegenstandsbezogene Welt Teil wird eines abstrakten verheissungsvollen Lichtraums.